Gestern erschienen zwei erwähnenswerte Alben: „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ von Kanye West und „King Night“ von Salem.

Kanye West, der wie ein Phoenix aus der Asche auferstandene, in den letzten Jahren oftmals etwas ziellos von einer Peinlichkeit in die nächste taumelnde Superstar, hat sich auf seinen Größenwahn besonnen und ein Werk abgeliefert, das in seiner schieren Opulenz fast schon beängstigend wirkt. HipHop hat mittlerweile eine ähnliche Evolutionsstufe erreicht wie Rock irgendwann Anfang der 70er-Jahre. Musikalisch wurde schon alles ausprobiert, alle Botschaften etliche Male gerappt, also suchen die Akteure neue Herausforderungen auf anderen Ebenen: Produktion oder Konzeption. Kanye geht beide an und macht aus „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ ein absurd überdimensioniertes Werk, das mehr mit einem Andrew-Lloyd-Webber-Musical gemein hat als mit good old Rap, dem einstigen Sprachrohr der Straße.
Der Prog-Rocker des HipHop, wenn man so will. Oder Prog-Rap, der alles und jeden in sich aufsaugt: schichtenweise Streicher, lange Gitarren-Soli, Samples (auch aus der genannten Epoche des Rock), einen Chor mit u. a. Rihanna, Alicia Keys, Fergie, ein Rap-Ensemble mit u. a. Raekwon, Kid Cudi, Jay-Z, The RZA, dazu John Legend, Bon Iver (!), Elton John (!!) und sicher noch zwei bis drei Dutzend weitere Superstars, die sich auf diesem trotzdem so verdammt guten Album tummeln. Für alle Fans von „808s & Heartbreak“ kramt er gegen Ende auch noch mal Autotune raus. Muss man sich noch einige Male anhören, um alle Details zu entschlüsseln, dieses in keiner Sekunde vernünftige, stets im Überfluss schwelgende Album (wie viele Millionen US-Dollar die Produktion wohl verschlungen haben mag?). Doch so viel ist sicher: Kanye ist zurück.
UPDATE: Jemand hat sich die Mühe gemacht und alle Samples des Albums aufgelistet.
In einer etwas anderen Galaxie leben:

Salem.Die haben sich zwar ihre Beats beim HipHop geborgt, doch was für Kanye Pomp und Überfluss, ist für den US-Act die Verlangsamung und das Verdichten unter Einsatz psychedelischer Mittel. Salem sind so offensichtlich und offensiv auf der düsteren Seite der Popkultur zu Hause wie nur wenige Acts im Bereich überwiegend elektronischer Musik. Manche nennen diesen Sound Witch House oder Witch Hop, Zombie Rave, Cave Crunk, Rape Gaze, Electronic Goth oder einfach Drag. Müsste man das Album mit nur drei Adjektiven beschreiben, dann kämen sinister, brutal und spooky sicher in die engere Auswahl. Oder weird, rough und mystisch. An diesem Image stricken Salem selber fleißig mit, verbreiten Videos, in denen Lead-Sänger Jack Donoghue dabei zu sehen ist, wie er einen halbnackten jungen Mann bis zur Besinnungslosigkeit würgt. John Holland erzählt in Interviews ausführlich von seiner Vergangenheit als Crack Head und Callboy.
Doch Salems Debütalbum „King Night“ erscheint nicht auf irgendeinem edgy Indie Label sondern bei Sony Music. Warum das denn?
Weil die zehn Tracks von „King Night“ echte Hits sind. Düster wie die Darkrooms im Berghain, aber eben auch von einer faszinierend morbiden Schönheit. Die runtergepitchten Stimmen werden von chopped & screwed Beats minutenlang mitgeschleift, verwunschene Backing Vocals dringen aus der Ferne durch Synthie-Wände, die sich hoch und gewaltig auftürmen wie Wellen eines in Zeitlupe herandonnernden Tsunamis. Gleichzeitig aber bewahrt sich dieser Musik gewordene Alptraum eine majestätische Lo-Fi-Schönheit und bei aller Weirdness eine Erhabenheit, als würden über Gotham City gleich die dicken, Blitze speienden Gewitterwolken aufreißen und die Sonne in die tiefen Straßenschluchten scheinen. Diese Hoffnung wird im Laufe der gesamten 40 Minuten nie eingelöst, schwingt aber immer mit. G-R-O-S-S-A-R-T-I-G! Produziert hat übrigens Dave Sardy (Barkmarket, Helmet, Slayer u. v. a.).