Schön wolkig

Ohne das Buch auch nur einmal aufgeschlagen zu haben, habe ich Tobias Rapps „Lost and Sound – Berlin, Techno und der Easyjet“ schon ins Herz geschlossen – wegen der Gestaltung der Rückseite. Ein schönes Beispiel dafür, wie die Errungenschaften des Web immer weiter in alle anderen Mediengattungen diffundieren. Rapp klatscht einfach eine schlau compilierte Tag Cloud auf die letzte Umschlagseite und informiert dadurch deutlich besser über den Inhalt seines Buchs als durch einen althergebrachten Klappentext.

Gleich im Vorwort gelingt ihm übrigens eine sehr putzige Definition von Techno und House:

„Das eine ist die Musik mit dem geraden Bummbummbummbumm. Und das andere die Musik mit dem geraden Bummbummbummbumm, über das eine Diva „Release Me!“ singt.“

Ein viel versprechender Einstieg.

Endlich online: metastabil

Back in the days… Ja, damals im letzten Jahrtausend, im goldenen Print-Zeitalter, heckte ich in meinem kleinen verstaubten WG-Zimmerchen in der – jawohl – Gutenbergstraße in Stuttgart-West einen Plan aus: Wie wäre es denn, wenn man von allen schriftstellernden Freunden (und davon gab es einige) Texte sammelte, den Grafikdesign studierenden Mitbewohner mit Bier bestechen würde – und einfach – so mir nichts, dir nichts – ein Heft bastelte, so eine Art Literatur-Zine… Wäre eigentlich ganz cool, ne?!

Gedacht, gemacht: Zusammen mit Markus „Skinny“ Ebinger setzte ich den Gedanken schnell in die Tat um. „metastabil – zeitschrift mit texten“ hieß unser Baby. Die erste Ausgabe trugen wir noch selbst in den Copyshop, klebten in einem Akt der genussvollen Selbstausbeutung grüne Rechtecke aufs Cover und verteilten die Hefte in einer Hand voll Bars, Cafés und Plattenläden. Nach und nach entwickelte sich die Sache: Wir organisierten metastabil-Lesungen, bekamen Texte aus dem ganzen deutschsprachigen Raum zugeschickt, das Heft wurde von Ausgabe zu Ausgabe umfangreicher, die Auflage stieg und stieg, in der Druckerei nahm man sich Zeit für uns. Es hätte eine schöne Erfolgsstory werden können… Wenn wir nicht von Anfang an beschlossen hätten, dass wir das Ganze auf einer Non-Profit-Basis betreiben wollten (Stichwort: Idealismus). Und dann hatten wir irgendwann lange genug studiert, der Magen knurrte, wir fingen an zu arbeiten – und hatten für ein so aufwändiges Hobby keine Zeit mehr. Gar keine Frage: metastabil lag im Sterben.

Kurz bäumte sich das Projekt noch einmal auf. Online, zusammen mit Jan Lutz führten wir mehrere kurze „Literarische Übergriffe im Netz“ (kurz: „L.Ü.G. im Netz“) durch, überfielen mit einer munteren und zu allem bereiten Autorenschar so flashmobmäßig (allerdings lange bevor das Phänomen eine lästige Modeerscheinung wurde) diverse Foren gut besuchter Websites.

Dann passierte lange nichts.

Doch jetzt wird metastabil unsterblich, denn das Internet vergisst nie: Der liebe Timecrusher hat noch einmal seine alten Festplatten rausgekramt, die Heftchen in PDFs umgewandelt, und seit heute sind alle fünf metastabil-Ausgaben endlich wieder verfügbar – und zwar genau da:

metastabil 01.

metastabil 2.0

metastabil 3.0

metastabil 4.0

metastabil 6.0

Und jetzt reicht es für diese Woche aber auch mal mit der Issuu-Mania.

Tschüss, Herr Lehmann!

„… Wird Zeit, daß ich rauskomme aus der Touristenscheiße hier.“

Gerade eben „Der kleine Bruder“ zu Ende gelesen. Was bleibt? Ein großes Fragezeichen: Was ist bloß mit Sven Regener los? Der Element-Of-Crime-Frontmann, eigentlich ein begnadeter Texter und Autor, schließt mit dem letzten Teil seiner Lehmann-Trilogie leider recht unmotiviert die Lücke zwischen „Neue Vahr Süd“ und „Herr Lehmann“. Nur selten blitzt sein erzählerisches Talent auf, das „Herr Lehmann“ zu einem Riesenerfolg werden ließ und den Leser so zuverlässig durch den mehr als 500 Seiten starken zweiten Teil begleitete. Anstelle treffender Beobachtungen gibt’s fast nur langatmige Geschwätzigkeit. „Der kleine Bruder“ ist durchzogen von quälend langen pointenfreien Dialogen und beantwortet die zentrale Frage des Buchs (Wo ist eigentlich der große Bruder Manni bzw. Freddie abgeblieben?) mit einer wenig originellen Auflösung. Doch Regener scheint zu ahnen, dass er da nur wenig mehr als heiße Luft abliefert: Auf Seite 220 lässt er die junge Chrissie genervt dazwischen grätschen, als sich die anderen Figuren mal wieder über Seiten hinweg sinnlos kabbeln: „‚Können wir mal mit dem Gelaber aufhören?‘ sagte Chrissie laut und bestimmt“. Ja, bitte.