Wochenende mit Bäumen

Foto: Jan Windszus © Temporäre Kunsthalle Berlin, John Bock

Da wollte ich besonders clever sein und bin, um lange Wartezeiten zu vermeiden, am frühen sonnenbeschienenen Freitagnachmittag und nicht erst am nächsten verregneten Sonntag in die Temporäre Kunsthalle rübergeradelt. Was ich nicht bedacht hatte: Touristen haben häufig Urlaub und treiben sich auch gerne während der regulären Kernarbeitszeiten in kulturellen Einrichtungen rum. So stand ich dann doch eine gute halbe Stunde in der Schlange vor dem baugerüstigen, von John Bock kuratierten Monster-Meta-Exponat „FischGrätenMelkStand„, das sich die Werke von 63 Künstlern einverleibt hat. Dürfen ja immer nur 45 Besucher gleichzeitig rein in das unübersichtliche System aus Gängen und Kammern und Treppen und Autoreifen, verkohlten Pizzas, Installationen, die doch sehr nach Physik-Grundkurs aussehen, eingestaubten Fernsehern, Durchbrüchen durch die Außenhaut der Halle und vielem mehr. Mein Fave: Die Videoprojektion „Virus Meadow“ von And Also The Trees im 2. OG. Ein Live-Mitschnitt von 2007, die Musik kommt über Kopfhörer, durch ein Loch in der nicht besonders hübsch bemalten Holzwand sieht man die Jones-Brüder performen. John Bock scheint ein großer Fan der Briten zu sein, lud And Also The Trees sogar zu einem Konzert in die Kunsthalle ein. Dem Gig am 9. Juli konnte ich nicht beiwohnen, da ich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann. Die Ausstellung läuft noch bis 31. August.

Ziemlich genau so sieht das in der Kunsthalle gezeigte Filmchen aus:

Noch mehr Bäume:

Morgen, am 31. Juli, lädt die Künstlergruppe Shake Your Tree zu Diskurs und Disko ins .HBC. Es wird gefeiert werden. Das Herausgeben von Heften zum Beispiel. Die Live-Acts Tracky Birthday, Roglok und ein erfahrenes DJ-Team um die Routiniers Manuel Buerger und Konrad Kuhn werden dieser wenig surrealen Versuchsanordnung eine ebenso funktionale wie poetische Struktur verleihen, dessen bin ich mir ziemlich sicher.

Zweierlei Tempi

Ein Abend mit zwei Art-Events, die unterschiedlicher kaum sein könnten:

Le Salon Du Cercle De La Culture

Le Salon Du Cercle De La Culture

Die Circleculture Gallery eröffnete gestern ihren „Le Salon Du Cercle De La Culture A Berlin“ und setzte der nüchternen Strenge der sonst üblichen White-Cube-Präsentation eine urig gemütliche Lounge-Atmosphäre entgegen. Die Galerie in der Gipsstraße bleibt bis zum 23. Juli eine mit Sesseln, Tischchen, Kerzen und Schalen mit Teegebäck voll gestellte Nachbildung eines „literature and art salons of the early 20th century“. So opulent wie das Interieur auch die Liste der ausgestellten Künstler: XOOOOX, Nomad, Stefan Stumbel, Aaron Rose, Anton Unai, Helle Mardahl, Ed Templeton oder Jaybo Monk.

Und genau dieser Jaybo lud gestern zum Live Painting in seinen Project Room in der Schönhauser Allee. Dort durften Augustine Kofie und El Mac ran. Binnen weniger Stunden mussten die beiden Street Artists ein Piece an die Wand hektiken („One Night One Piece„). Ein krasser Gegensatz zu der auf Genuss und Langsamkeit abzielenden Salon-Situation in der Circleculture Gallery.

Live Painting@Project Room 1

Live Painting@Project Room 3

Live Painting@Project Room 2

Live Painting@Project Room 4

Live Painting@Project Room

Leisten solche Veranstaltungen der Junk-Foodisierung der darstellenden Kunst Vorschub, bei der lediglich ein paar hingeschluderte Wegwerfprodukte entstehen? Oder verschafft man damit den Künstlern die Möglichkeit, motiviert durch die Anwesenheit eines Publikums, zur Bestform aufzulaufen? Wie in einem WM-Finale der Malerei bzw. Sprüherei einen Prozess langer und intensiver Vorbereitung kulminieren zu lassen. Um darauf eine Antwort zu erhalten, hätte man die Künstler befragen müssen. Aber die waren ja die ganze Zeit beschäftigt. Vielleicht hole ich das bald mal nach.

Bewegte Bilder

Simply Video@Kunstmuseum Stuttgart

Bis zum 22. August im Stuttgarter Kunstmuseum zu sehen: „Simply Video – Bewegte Bilder aus der Kunsthalle Bremen„. Das beste Exponat ist gleichzeitig auch eines der ältesten. Die Closed-Circuit-Videoinstallation „mem“ von Peter Campus entstand schon 1974/75 und erlaubt Interaktion mit dem Besucher. Gefällt mir ja generell gut, wenn man im Museum ein wenig rumspielen darf. Hatte leider nur mein Handy zur Hand, deswegen war mehr als dieses lausige Bild nicht drin. Einige der anderen neun Projektionen und Videoskulpturen sind aber zum Teil erschreckend simpel. Wer gerade ein Stündchen Zeit hat, kann trotzdem mal reinschauen.

Time Doesn’t Exist, Clocks Exist

Und dann behaupte noch einer, Facebook sei nur ein Zeitkiller. Just dort bin ich eben auf diese Künstlerin gestoßen: Die Londoner Designerin Amandine Alessandra beschäftigt sich beim ersten Hinschauen mit Typo-Stuff und trägt ihre Arbeiten gerne in den öffentlichen Raum, auf den world famous Fußgängerüberweg in der Abbey Road zum Beispiel. Aber eigentlich geht es Ihr um die Zeit: Wie hier in der auch bei Werbern beliebten weil belebten Liverpool Street Station. Go to Alessandras Website, da läuft u. a. in Zehntelsekundenschritten eine aus Menschen gebildete Uhr durch.

Ein Leben für den Pop

Takashi Murakami x Kanye West Bear Toy@Hamburger Kunsthalle 2010

Credit: Takashi Murakami

Gerade erst eröffnet: Die PopArt-Ausstellung „PopLife“ in Hamburg. Neben Obszönitäten von Koons, Eitelkeiten von Kippenberger, dem obligatorischen Warhol, ein bisschen Blingbling von Hirst oder Altbackenem von Haring geht Takashi Murakami am derbsten ab. Sein für Kanye West entworfenes shiny Bärchen – und alles andere natürlich auch – ist noch bis zum 9. Mai in der Kunsthalle zu sehen. Genauer: In der Galerie der Gegenwart. Man kann aber auch vom Hauptbahnhof kommend direkt zum Haupteingang rein und sich durch den gesamten Gebäudekomplex durchschlängeln, vorbei an den Alten Meistern, der Ausstellung zur Klassischen Moderne usw. Wenn man es eilig hat und sich nicht verläuft, dauert das keine zehn Minuten. Außerdem ist es trocken und warm und man sieht auch mal die ruhigen Ecken der Kunsthalle. Sollte man doch mal die Orientierung verlieren, steht an jeder Ecke ein hilfsbereiter Angestellter und weiß, wie und wo es weitergeht. Auf dem Rahmen eines dieser übergroßen Ölgemälde, die da überall zusammen rumhängen, habe ich übrigens zwei bestens zur Jahreszeit passende Zeilen entdeckt:

„Heimlich unter dem Schnee keimt schon der zukuenftige Fruehling.

Troeste Dich, alterndes Haupt: Jeder Tod ist nur Schein.“

Na dann.

Do It Yourself

Foto: Bernd Schuller

Sie kann rieseln, rinnen, rollen, gekrümmt sein und gestaucht. Zeit, das unbekannte Phänomen, dem ich mich sprachlos nähern will… Na gut, die einleitenden Worte sind geklaut. Macht aber nichts, weiter im Text: Durch Zufall (okay, auch das stimmt nicht ganz: Der „Zufall“ nahm vorübergehend die Gestalt meines Bürokollegen Alex an) stieß ich heute auf ein Projekt von Mark Formanek aus dem Jahr 2007, das sich mit diesem eigenartigen Ding beschäftigt, das unser aller Leben bestimmt. Für „Standard Time – die selbstgebaute Zeit“ zimmerten 70 Arbeiter aus Brettern eine 4 x 12 Meter große fortlaufende analog-digitale Zeitanzeige – synchron zur Echtzeit. Das heißt, die fleißigen Bienchen mussten einen Tag lang im Minutentakt ihre „Skulptur über die Zeit“ umbauen. Das rege Treiben wurde natürlich lückenlos aufgenommen und gibt jetzt einen prima Uhrenersatz ab. Demnächst soll man sich den 24-stündigen Film auf DVD kaufen können. Einen ersten Überlick bekommt man hier.

Für die Geeks

Also mal ehrlich: Außer der im letzten Post gezeigten Illu hat die Illustrative 2009 nicht so verrückt viel Interessantes zu bieten. Deutlich besser gefallen mir die Arbeiten eines alten Bekannten, Axel Pfänder heißt er, der mir diese Woche beim Lunch erzählte, dass er eben seinen Webshop freigeschaltet hat. Und jetzt schau Dir mal diese geeky Prints an. Toll, ne?